Die Diagnose der chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) basiert auf klinischen und elektrophysiologischen Parametern sowie laborchemischen Untersuchungen. Die CIDP-Symptome müssen mindestens 8 Wochen präsent gewesen sein. Weitere Untersuchungen wie Nervenbiopsien und Laborwertbestimmungen in Blut und Liquor können hinzugezogen werden, wenn ohne diese keine klare Diagnosestellung möglich ist. Die Abgrenzung gegenüber anderen Polyneuropathien ist oft schwierig, häufig ist die Diagnose CIDP eine Ausschlussdiagnose.

EAN/PNS-Leitlinie spezifiziert Diagnosekriterien

In der aktuellen Leitlinie der EAN (European Academy of Neurology) und PNS (Peripheral Nerve Society) sind die Diagnosekriterien für CIDP konkretisiert worden. Das spezifizierte diagnostische Vorgehen soll helfen, CIDP-Betroffene schneller zu identifizieren.

Zur Leilinie

Klinische Kriterien

Um die Verdachtsdiagnose einer typischen CIDP stellen zu können, müssen laut Leitlinie (European Federation of Neurological Societies Peripheral Nerve Society, EFNS) folgende Kriterien zutreffen: 

  • Progredient oder schubförmig, symmetrische distale und proximale Muskelschwäche in den Extremitäten sowie sensorische Störungen in mindestens 2 Gliedmaßen.
  • Sehnenreflexe in allen Extremitäten müssen fehlen oder deutlich abgeschwächt sein.
  • Die Entwicklung muss über mindestens  2 Monate anhalten.

Bei CIDP-Varianten treffen nicht alle Kriterien der typischen CIDP zu, außerdem sind die Reflexe in den nicht betroffenen Gliedmaßen normal:

cidp_person_typisch
cidp_person_distal
cidp_person_multifokal
cidp_person_motorisch
cidp_person_sensorisch
cidp_person_fokal

Elektrophysiologische Parameter

Statistik

Die EFNS-Leitlinie gibt eine starke Empfehlung, die Elektrodiagnostik zur Bestätigung einer Verdachtsdiagnose CIDP basierend auf den klinischen Kriterien einzusetzen. Die Messungen können ein sehr gutes Bild über das Vorliegen und das Ausmaß der Nervenschädigungen vermitteln.

Elektrodiagnostische Kriterien für eine typische CIDP:

  • In mindestens zwei Motornerven werden die Kriterien für Demyelinisierung erfüllt.
  • Gefühlsstörungen in mindestens zwei Nerven.

Die Diagnose „mögliche typische CIDP“ kann gestellt werden, wenn

die klinischen Kriterien und zudem

die elektro-diagnostischen Kriterien an einem Nerv erfüllt sind

oder eine der empfohlenen Therapien Erfolg zeigt.

ENMG-Kriterien für Demyelinisierung

In mindestens 2 Motornerven:

  1. Verlängerung der distal motorischen Latenz ≥ 50 % über ULN in zwei Nerven (Ausschluss Karpaltunnelsyndrom) oder
  2. motorische Nervenleitgeschwindigkeit herabgesetzt ≥ 30 % unter LLN in zwei Nerven oder
  3. Verlängerung der F-Wellen-Latenz ≥ 30 % ULN in zwei Nerven (≥ 50 %, falls die Amplitude des distalen negativen CMAP-Peaks < 80 % LLN) oder
  4. Fehlen der F-Wellen in zwei Nerven, falls die distalen negativen CMAP Peaks ≥ 20 % LLN+ ≥ 1 anderer demyelinisierender Parametera in ≥ 1 anderen Nerven oder
  5. partieller motorischer Leitungsblock: ≥ 50 % Reduktion der Amplitude des proximalen negativen CMAP-Peaks, verglichen mit Stimulation distal, falls der distale negative CMAP-Peak ≥ 20 % LLN in zwei Nerven oder in einem Nerven + ≥ 1 andere demyelinisierende Parameter in ≥ 1 anderen Nerven oder
  6. abnorme zeitliche Dispersion (> 30 % Zunahme zwischen dem proximalen und distalen negativen CMAP-Peak) in ≥ 2 Nerven oder
  7. Zunahme der Dauer des distalen CMAP (Intervall zwischen Beginn des ersten negativen Peaks und Rückkehr zur Grundlinie des letzten negativen Peaks) in ≥ 1 Nerv (N. medianus ≥ 6.6 ms, N. ulnaris ≥ 6.7 ms, N. peroneus ≥ 7.6 ms, N. tibialis ≥ 8.8 ms) + ≥ 1 andere demyelinisierende Parametera in ≥ 1 anderen Nerven

ENMG: Elektroneuromyographie; CMAP: Muskelantwortpotenzial; ULN: oberer Grenzwert; LLN: unterer Grenzwert. 
a. Jeder Nerv, der eines der Kriterien a–g erfüllt.

Labordiagnostik

Laboruntersuchungen können herangezogen werden, wenn Anamnese und Elektrodiagnostik keine definitive Diagnose erlauben. Sie zählen nicht zu den Standarduntersuchungen.

Liquoruntersuchung

Im Liquor lassen sich bei einem Großteil der CIDP-Patient:innen eine leicht erhöhte Zellzahl (in der Regel < 10) und eine deutlich erhöhte Eiweißkonzentration nachweisen. Dies sind aber keine sicheren Diagnosekriterien.

Blutwerte

Regulär erhobene Blutwerte sind bei CIDP in der Regel diagnostisch nicht hilfreich. Es lassen sich aber bestimmte Antikörper (Immunglobuline) nachweisen, die zur Diagnosestellung eingesetzt werden können. Dieser Nachweis wird vorwiegend als Ausschlussdiagnose gegenüber anderen Polyneuropathien eingesetzt.

  • Eine erhöhte Immunglobulin-Konzentration im Blut, auch monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS), kann ein Hinweis auf eine maligne Erkrankung sein, der unbedingt abgeklärt werden muss.
  • Der Nachweis von Antikörpern gegen Proteine der Ranvier’schen Schnürringe (nodale und paranodale Proteine) wie Anti-NF155, Anti-CNTN1 und Anti-Caspr1 kann eine Verdachtsdiagnose bestätigen, wenn andere Diagnoseparameter keine eindeutige Zuordnung erlauben.

Weitere diagnostische Optionen

Bildgebende Verfahren

Die Magnetresonanztomographie (MRT) mit T2-Wichtung kann eingesetzt werden, um Nervenläsionen, insbesondere an den Nervenwurzeln, nachzuweisen. Diese sind typisch für CIDP.

Die Sonographie (Ultraschall) wird vor allem dazu eingesetzt, um die verschiedenen Neuropathien voneinander abzugrenzen. Somit können anatomische Veränderungen einzelner Nerven wie Verdickungen festgestellt werden, die bei einer Schädigung durch Ansammlung von Entzündungsflüssigkeit im Nervengewebe entstehen.

Neurobiopsien

In Biopsien kann zwar die Demyelinisierung der Nervenzellen direkt nachgewiesen werden, sie sind aber recht aufwendig und invasiv. Sie werden nur eingesetzt, wenn klinische und elektrodiagnostische Kriterien, bildgebende und Laboruntersuchungen keine eindeutige Diagnose zulassen. Neurobiopsien sollten nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden.

Differentialdiagnose

Differentialdiagnostisch müssen andere erworbene und ererbte chronische Polyneuropathien ausgeschlossen werden. Die Ursachen können vielfältig sein, die korrekte Diagnose ist aber entscheidend für die Wahl einer wirksamen Therapie.

Ausgeschlossen werden müssen:

  • Infektionserkrankungen wie Borreliose, Diphtherie oder HIV-bedingte Neuropathien
  • Drogen, Toxine und übermäßiger Alkoholkonsum
  • Blasen-, Darm- und Leberstörungen
  • Diabetesbedingte Neuropathien
  • Vererbte demyelinisierende Neuropathien
  • Andere Ursachen für demyelinisierende Polyneuropathien, z. B. Myelome

Abgrenzung entzündlicher Polyneuropathien CIDP, GBS und MMN

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Quellen
  1. Van den Bergh PYK et al. European Academy of Neurology/Peripheral Nerve Society guideline on diagnosis and treatment of chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy: Report of a joint Task Force-Second revision. Eur J Neurol. 2021;28(11):3556–3583.
  2. Markowitz JA. et al. Neurology. 2008;71:e74–e78.

C-APROM/DE/IG/0038